KONRAD ALBER
op.245 - DUETT II
Acryl auf Leinwand, 40 x 30 cm, 6/2017
BETREUUNGSRECHT
Das Rechtsinstitut der rechtlichen Betreuung wurde in Deutschland durch das am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Betreuungsgesetz geschaffen. Unter Betreuung wird die rechtliche Vertretung verstanden und nicht eine Sozial- oder Gesundheitsbetreu- ung. Die rechtliche Betreuung ist an die Stelle der früheren Vormundschaft über Volljährige und der Gebrechlichkeitspflegschaft getreten und geht über sie deutlich hinaus. Sie ist im Wesentlichen in den §§ 1896 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) geregelt.
Das gesetzgeberische Ziel der Reform war Betreuung statt Entmündigung, um den Betroffenen Hilfe zu einem frei selbsbesetimmten Leben zu leisten. Das Grundrecht auf Selbstbestimmung ergibt sich aus Art.2 Abs.1 Grundgesetz (GG). Die Betreuung dient nicht zur Erziehung oder dazu, gesellschaftliche Wertmaßstäbe durchzusetzen.
Die Zahl der Menschen, die rechtlich gemäß § 1896 BGB betreut wurden, belief sich am 31. Dezember 2009 in der Bundesrepublik Deutschland auf rund 1.291.000 Men- schen. Die Zahl der Betreuungen hat sich seit 1992 ungefähr verdreifacht.
Rechtsgrundlage: § 1896 BGB
Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht (Abteilung des Amtsgerichts) für
ihn auf seinen Antrag oder von Amts wegen einen Betreuer.
Im württembergischen Teil von Baden-Württemberg ist für die Betreuerbestellung
der Notar nach Maßgabe von § 1 des Landesgesetzes Baden-Württemberg über die freiwillige Gerichtsbarkeit zuständig. Ausnahmen von der notariellen Zuständigkeit
in Württemberg: § 37 LFGG.
Voraussetzung zur Betreuerbestellung ist eine psychische Krankheit oder eine körper- liche, geistige oder seelische Behinderung.
Die größte Gruppe der unter Betreuung stehenden Menschen sind alte Menschen,
die an der Alzheimerkrankheit oder einer anderen Demenz erkrankt sind. Daneben benötigt ein Teil geistig behinderter Menschen im Erwachsenenalter einen Betreuer. Auch Menschen mit einer schweren Abhängigkeitserkrankung (insbesondere Alkohol oder Heroin) bedürfen bei schweren psychosozialen Folgeschäden in manchen Fällen eines Betreuers.
Auch Suchterkrankungen können bei entsprechendem Schweregrad psychische Krank-heiten sein; die Sucht muss aber im ursächlichen Zusammenhang mit einer Behinde- rung oder geistigen Erkrankung stehen oder es muss ein auf die Sucht zurückzu-führender psychischer Zustand eingetreten sein. Alkoholikern und Drogensüchtigen kann daher kein Betreuer bestellt werden, solange nur eine Suchterkrankung vorliegt.
Dies bedeutet, dass eine Behinderung oder Krankheit alleine kein Grund für die An- ordnung einer Betreuung ist. Es müssen Angelegenheiten vorhanden sein, die die
betroffene Person als Folge der Behinderung oder Krankheit nicht eigenständig be- sorgen kann (= Handlungsbedarf).
Die Bestellung eines Betreuers ist nicht erforderlich, wenn die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut durch andere Hilfsangebote besorgt werden können (§ 1896 Abs.2 Satz 2 BGB). Weiter ist Voraussetzung, dass die Angelegenheiten, die für die betroffene Person besorgt werden müssen, nicht durch andere Hilfen, die ohne ge- setzlichen Vertreter möglich sind, gleich gut erledigt werden können. Andere Hilfen können z. B. Familienangehörige, Nachbarschaftshilfe oder soziale Dienste sein, sowie von der betroffenen Person bevollmächtigte Dritte. Die Betreuung nach dem BGB ist somit subsidiär (nachrangig). Durch die Einfügung des Wortes ”rechtlich” in § 1896 BGB im Jahre 1999 ist verdeutlicht worden, dass Betreuungstätigkeit eine rechtliche Vertretung darstellt.
Wenn es nur darum geht, dass jemand rein tatsächliche Angelegenheiten nicht mehr selbständig besorgen kann (etwa seinen Haushalt nicht mehr führen, die Wohnung nicht mehr verlassen kann usw.), so rechtfertigt dies in der Regel nicht die Betreuer-bestellung. Hier wird es im Normalfall auf ganz praktische Hilfen ankommen (z. B. Sauberhalten der Wohnung, Versorgung mit Essen), für die man keinen gesetzlichen Vertreter braucht (in der Praxis wird, besonders wenn es keine anderen Hilfspersonen gibt, doch ein Betreuer für die Organisation der Hilfen bestellt).
Mit einer Vorsorgevollmacht kann man für den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit ei- ner Person seines Vertrauens Vollmacht für alle eventuell anfallenden Rechtsgeschäfte erteilen und so die Anordnung einer Betreuung vermeiden. Hierfür müssen ggf. be- stimmte Formvorschriften beachtet werden.
Allerdings kann es z. B. sein, dass eine Betreuung trotz Vorhandenseins von Famili- enangehörigen oder Bevollmächtigten nötig wird, nämlich dann, wenn diese Personen gegen Wohl und Willen der betroffenen Person handeln oder von ihr nicht mehr kon- trolliert werden können. Außerdem müssen die oben genannten sozialen Hilfen be- antragt, organisiert und ggf. bezahlt werden. Hierfür ist in der Regel eine Person mit Vertretungsmacht nötig. Ein Bevollmächtigter hat diese Vertretungsmacht aus der Vollmacht heraus, der Betreuer bekommt die Vertretungsmacht mit seiner Bestellung als Betreuer durch das Betreuungsgericht. Vor- und Nachteile einer Vorsorgevoll- macht werden im Artikel Vorsorgevollmacht behandelt.
Wer seinen Willen frei bestimmen kann, darf keinen rechtlichen Betreuer gegen
seinen Willen bestellt bekommen (siehe auch Freier Wille). Die Betreuung dient
nicht dazu, den Betroffenen zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst zu schädigen. Allerdings wird bei einer erheblichen geistigen Krankheit (zum Beispiel einem akuten schizophrenen Schub) der Wille der betroffenen Person von der Krank- heit beeinflusst und kann insoweit nicht als „frei“ angesehen werden, so dass sich
die zitierte Rechtslage in der Praxis als Kriterium für oder gegen eine Betreuerbe-stellung als wenig hilfreich erwiesen hat. Der Arzt entscheidet nämlich darüber, ob sein Patient einen freien Willen hat. Das Gesetz zum "freien Willen" ist also kein wirksames Rechtsmittel gegen die Anordnung einer Betreuung.
Die Entscheidung für oder gegen eine Betreuungsbeantragung sollte der Betroffene sorgsam abwägen. Ein rechtlicher Betreuer kann eine große Hilfe sein, etwa wenn
es darum geht, Behördenangelegenheiten und finanzielle Angelegenheiten zu regeln oder eine Wohnung zu finden. Hierbei helfen aber auch Angebote freiwilliger sozialer oder pflegerischer Betreuung oder sonstige Dienstleister (wie Makler, Einkaufsdienste etc.).
Liegt ausschließlich eine körperliche Behinderung vor, ist eine Betreuerbestellung nur auf eigenen Antrag hin möglich; es sei denn, es ist überhaupt keine Verständigung mit dem Betroffenen möglich (Locked-In-Syndrom).
Die Betreuungsanordnung erfolgt in einem gerichtlichen Verfahren (§§ 1 bis 110
sowie 271 bis 341 FamFG), für das spezielle Verfahrensgarantien festgelegt wurden.
Der Betreute ist immer verfahrensfähig (§ 275 FamFG) und kann zum Beispiel gegen Beschlüsse Beschwerde einlegen und/oder einen Anwalt oder einen sonstigen geeig- neten Verfahrensbevollmächtigten mit seiner Vertretung beauftragen (§ 276 Abs.4 FamFG).
Der Betreute muss durch einen unabhängigen Sachverständigen begutachtet werden. Ein (selbst vorgelegtes) ärztliches Zeugnis ist nur dann ausreichend, wenn der Be- troffene eine Betreuerbestellung selbst beantragt. In Eilfällen genügt gleichfalls ein ärztliches Zeugnis, die Begutachtung ist aber nachzuholen.
Aus § 30 Abs.1 FamFG in Verbindung mit § 406 ZPO folgt, dass der Gutachter abge- lehnt oder das Gutachten angefochten werden kann, wenn Gründe vorhanden sind, die das Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Gutachters rechtfertigen und die Besorgnis der Befangenheit des Gutachters begründen (§ 42 ZPO).
Auch die Betreuerauswahl und -bestellung erfolgt innerhalb des Betreuungsverfah- rens. Das Gericht kann eine vom Betroffenen vorgeschlagene Person nicht als Be- treuer mit der Begründung ablehnen, dass eine andere Person besser geeignet sei
(§ 1897 Abs.4 BGB). Unter bestimmten Umständen können mehrere Betreuer für einen Betreuten bestellt werden (§ 1899 BGB), z. B. auch ein Verhinderungsbetreuer. Für die Sterilisation ist stets ein spezieller Betreuer (Sterilisationsbetreuer) zu be- stellen.
Die Betreuerbestellung ist keine endgültige Angelegenheit. Der Betreute kann beim Betreuungsgericht die Prüfung und Aufhebung der Betreuung beantragen. Das
Gericht ist verpflichtet, der Prüfung nachzukommen, sofern nicht immer wieder Anträge gestellt werden. Von sich aus prüft das Betreuungsgericht zumindest alle sieben Jahre, ob die Betreuung unverändert fortzuführen ist. Fällt der Handlungsbe- darf für eine Betreuung weg, ist die Betreuung vom Gericht aufzuheben, was in der Praxis auch häufig vorkommt (§ 1908 d BGB).
Der Betreute kann des Weiteren Beschwerde gegen die Betreuerbestellung einlegen. Auch nahe Angehörige und die Betreuungsbehörde sind beschwerdeberechtigt (§§ 59, 303 FamFG). Zuständig für die Entscheidung ist das Landgericht, sofern das
Betreuungsgericht aufgrund der Einlegung des Rechtsmittels die angefochtene Ent- scheidung nicht abändert (Abhilfe, § 68 Abs.1 FamFG).
Ebenso kann der Betreuer gewechselt oder sein Aufgabenkreis erweitert oder einge- schränkt werden (§ 1908 b BGB). Hierzu bedarf es einer Anregung an das Gericht.
Die Pflichten des Betreuers ergeben sich aus § 1901 BGB. Bei Pflichtverletzungen ist eine zivilrechtliche Haftung des Betreuers gegeben.
Das „Wohl des Betreuten“ ist nach § 1901 und § 1906 BGB der Maßstab des Handelns des Betreuers. Das „Wohl des Betreuten“ ist als Generalklausel eine „Einbruchstelle“ insbesondere der in Art.2 GG garantierten Grundrechte in das bürgerliche Recht.
Um dem Selbstbestimmungsrecht zu genügen, ist das „Wohl des Betreuten“ aber
nach § 1901 Abs.2 Satz 2 und Abs.3 BGB des Betreuungsrechts nicht nach objek- tiven Maßstäben zu bestimmen, sondern vorrangig subjektiv durch den Willen des Betreuten. Belange Dritter sind dabei zweitrangig.
Um dem Grundrecht auf Selbstbestimmung in verfassungsgemäßer Weise gerecht
zu werden, hat ein Betreuer folgende Grundsätze zu beachten:
1. Betreuer sollen immer nur für Betreute entscheiden, wenn diese nicht selbst ent- scheiden können. Gegen den Willen eines einwilligungsfähigen Betreuten, der Art, Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung erfassen kann, darf ein Betreuer nicht handeln.
2. Betreuer müssen im Grundsatz so entscheiden, wie der Betreute selbst entscheiden würde, wenn er selbst entscheiden könnte. Ein Betreuer darf aber natürlich keine Straftat begehen, auch wenn der Betreute diese mit freiem Willen beginge. Fraglich ist, ob der Betreuer auch verpflichtet ist, Straftaten des Betreuten zu verhindern.
3. Gegen den Willen des nicht zur freien Willensbestimmung fähigen Betreuten, also des juristisch nicht entscheidungsfähigen Betreuten, darf im Grundsatz nur gehandelt werden, wenn eine erhebliche Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Ein Handeln gegen den Willen des nicht entscheidungsfähigen Betreuten aufgrund be- stehender erheblicher Selbstgefährdung ist aber dann nicht statthaft, wenn der Be- treute dem mit mutmaßlichem Willen nicht zustimmt. Ein Handeln gegen den Willen des nicht entscheidungsfähigen Betreuten aufgrund nicht bestehender erheblicher Selbstgefährdung ist nur erlaubt, wenn sicher ist, dass der Betreute dem im Nach- hi- nein zustimmen wird.
Jede Behandlung ist immer ein Eingriff in das in Art.2 Abs.2 GG garantierte Grund- recht auf körperliche Unversehrtheit. Sie bedarf daher der Einwilligung.
Solange der Betreute einwilligungsfähig ist, darf der Betreuer nicht für ihn in eine
Behandlung einwilligen. Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der ärztlichen Maßnahme nach Aufklärung erfassen kann.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat aber schon 1981 klargestellt, dass auch nicht einwilligungsfähige Betreute in gewissen Grenzen ein Recht auf „Freiheit zur Krankheit“ haben. Inzwischen wurden die Grenzen der „Freiheit zur Krankheit“ durch andere höchstrichterlichen Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts und des Bun- desgerichtshofs (BGH) weitgehend benannt.
Eine ambulante Zwangsbehandlung ist nicht erlaubt.
Der Bundesgerichtshof hat am 20. Juni 2012 in zwei Verfahren entschieden, dass auch stationäre Behandlungen gegen den Willen nicht zulässig sind, da es derzeit
an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grund- lage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung fehlt (BGH-Beschlüsse vom 20. Juni 2012 - XII ZB 99/12 und XII ZB 120/12).
Nach alter Rechtsauffassung war eine stationäre Zwangsbehandlung nur bei einem nichteinwilligungsfähigen Patienten bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit (§ 34 StGB) gestattet. Eine drohende
Verfestigung einer Erkrankung rechtfertigt eine Zwangsbehandlung aber nicht. Die
Interpretation der Beschlüsse legt nahe, dass eine Zwangsbehandlung dann erlaubt ist, wenn klar ist, dass der Patient im Nachhinein, wenn er also wieder einwilligungs- fähig ist, der Behandlung zustimmen wird.
Wenn in einer Patientenverfügung Festlegungen für ärztliche Maßnahmen (Behand- lung oder Nicht-Behandlung) in bestimmten Situationen enthalten sind, sind diese verbindlich, wenn durch diese Festlegungen der Wille des Betreuten für eine konkrete Behandlungssituation eindeutig und sicher festgestellt werden kann. Der Arzt und der Betreuer oder Bevollmächtigte müssen eine derart verbindliche Patientenverfügung beachten. Die Missachtung des Patientenwillens, also eine Zwangsbehandlung, kann als Körperverletzung strafbar sein.
Rechtsgrundlage: §§ 104 BGB
Auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten hat die Anordnung der Betreuung als solche rechtlich keinen Einfluss. Sowohl der Betroffene als auch der Betreuer können rechts-wirksam handeln.
Deshalb sollte der Betreuer alle wichtigen Angelegenheiten, wie in § 1901 BGB fest- gelegt, mit dem Betroffenen besprechen, damit es nicht zu gegensätzlichen Hand- lungen kommt. Die Geschäftsfähigkeit hat nichts mit der Betreuung zu tun. Sie hängt vielmehr davon ab, ob der Betroffene in der Lage ist, den Sachverhalt zu verstehen, die Folgen abzuschätzen und auch nach dieser Einsicht zu handeln. Sinn dieser Rege- lung ist es, den Betroffenen nicht zu entmündigen, wie es früher im Vormundschafts- recht üblich war.
Wer im Zustand der Geschäftsunfähigkeit Geschäfte zu seinen Ungunsten abschließt, muss die Geschäftsunfähigkeit nachweisen, damit festgestellt werden kann, dass die getätigten Rechtsgeschäfte nichtig sind. Dieser Nachweis entfällt, wenn eine Betreu- ung mit Einwilligungsvorbehalt eingerichtet wurde.
Ist der Betreute geschäftsunfähig, darf ihm nicht ohne weiteres die Kontoführung un- tersagt werden. Allerdings hat die Bank ein Haftungsrisiko, wenn sie dem Betreuten im Zustand seiner Geschäftsunfähigkeit Geld auszahlt. Daher scheint es ratsam, im Zweifel den alleinigen Zugang des Betreuten zu großen Geldbeträgen zu unterbinden. Dann müsste auch die Bank dazu verpflichtet sein, dem Betreuten die Kontoführung zu gestatten. Hat der Betreute Schwierigkeiten, das Geld einzuteilen, ist zu emp- fehlen, ein Sparkonto mit Sparcard einzurichten. Manche Banken bieten die Möglich- keit der täglichen Überweisung.
Das Betreuungsgericht kann gesondert anordnen, dass der Betreute zu einer Willens-erklärung (und damit zum Abschluss von Verträgen) im Rahmen des Aufgabenkrei- ses des Betreuers dessen Einwilligung bedarf: (Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB). Dies führt zur Einschränkung der Geschäftsfähigkeit.
Rechtsgrundlagen: §§ 51 bis 53 ZPO, § 11 VwVfG
Anders als oben beschrieben, ist in sonstigen Gerichtsverfahren (Zivilprozess, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsverfahren) der Betreute dann prozessunfähig, wenn
er entweder geschäftsunfähig i. S. des § 104 BGB ist oder unter Einwilligungsvorbe- halt (§ 1903 BGB) steht. Außerdem ist er in konkreten Verfahren dann prozessun-fähig, wenn der Betreuer für ihn das Verfahren betreibt. Dies gilt auch dann, wenn
er ansonsten geschäftsfähig ist.
Hierdurch soll konkurrierendem und sich widersprechendem Handeln von Betreuer und Betreutem entgegen gewirkt werden. Wobei der Betreuer natürlich im Rahmen des § 1901 Abs.2 und 3 BGB an die Wünsche des Betreuten gebunden ist. Gleiches gilt auch in behördlichen Verfahren aller Art, da in den Verwaltungsvefahrensgeset- zen und im SGB X sowie der Abgabenordnung auf § 53 ZPO verwiesen wird.
Auch dem Betreuten stehen alle Grundrechte zu. Fraglich ist in Bezug auf das Be- treuungsrecht jedoch, wem gegenüber. Als weiterer Akteur, gegenüber dem der
Betreute seine Grundrechte geltend machen kann, kommt im Wesentlichen neben dem Betreuer das Betreuungsgericht in Betracht, welches die Betreuung anordnet, den Betreuer auswählt und kontrolliert und ggf. einzelne Entscheidungen im Rahmen gerichtlicher Genehmigungspflichten trifft. Gegenüber dem Betreuer, der im Regelfall als Privatperson dem Betreuten entgegentritt, übt das Betreuungsgericht unmittel- bare rechtsprechende Staatsgewalt aus und ist daher direkt an die Grundrechte ge- bunden. In Betracht kommen im betreuungsrechtlichen Umfeld neben dem allge-meinen Persönlichkeitsrecht (Art.2 GG) das Post- und Fernmeldegeheimnis (Art.10 GG), das Recht auf Freizügigkeit (Art.11 GG), das Wohnungsgerundrecht (Art.13 GG), das Eigentumsgrundrecht (Art.14 GG), der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs. 1 GG) und die Rechtsgarantien bei Freiheitsentzug (Art.104 GG).
Das Grundgesetz garantiert jedem Menschen ein Leben in Würde. Selbstbestimmung, Freiheit der Person, körperliche Unversehrtheit und Gleichheit vor dem Gesetz ge- hören zu den wichtigsten Grundrechten. In diese Grundrechte darf per Gesetz ein- gegriffen werden, der Wesenskern muss aber erhalten bleiben (Art.19 Abs.2 GG). Daher ist das Wohl des Betreuten vorrangig durch ihn selbst zu bestimmen. In die-
se Grundrechte darf nur nach Maßstab der Verhältnismäßigkeit eingegriffen werden, wenn Rechte des Betreuten oder Dritter von gleichem Rang gefährdet sind. Hierin sind die Grenzen der „Freiheit zur Krankheit“ zu sehen, die das Bundesverfassungsgericht bislang nicht eindeutig gezogen hat. In einem Beschluss vom 23. März 1998 hat das BVerfG bestätigt, dass auch dem psychisch Kranken „in gewissen Grenzen die ‚Freiheit zur Krankheit‘ belassen bleiben muss“. Der Schutz Dritter ist nicht Aufgabe des Be- treuungsrechtes. Hierfür sind Ländergesetze zuständig.
Während das frühere Entmündigungsverfahren deutliche Defizite in Bezug auf die obi- gen Grundrechte aufwies, sind das Betreuungsverfahren und das Unterbringungsver- fahren mit zahlreichen Verfahrensvorschriften (insbesondere zur Verfahrensfähigkeit, zur Verfahrenspflegerbestellung und persönlichen Anhörung) prinzipiell geeignet, dem Grundrechtsschutz Genüge zu tun. Ob dieses in der Rechtsprechungswirklichkeit im- mer der Fall ist, ist hierbei eine andere Sache. Durch das 1. Betreuungsrechtsände- rungsgesetz wurde zum 1. Januar 1999 insoweit ein Rückschritt bei den Verfahrens- garantien vollzogen, dass bei der Genehmigung gefährlicher Heilbehandlungen nach
§ 1904 BGB das vorher ausnahmslose Verbot der Bestellung des behandelnden Arztes zum Sachverständigen in § 69 d Abs.2 FGG durch eine Sollbestimmung und die Öff- nungsklausel „in der Regel“ ersetzt wurde. Im Rahmen des 2. Betreuungsrechtsän- derungsgesetzes wurde zum 1. Juli 2005 der mögliche Verzicht auf eine Begutachtung durch Sachverständige beim Vorhandensein eines MDK-Gutachtens in § 68 b Abs.1a FGG aufgenommen. Außerdem wurde die längstmögliche Überprüfungsfrist bei der Betreuerbestellung von fünf auf sieben Jahre verlängert (§ 69 FGG).
Im Verhältnis zwischen dem Betreuten und dem Betreuer muss differenziert werden. Eindeutig ist eine Drittwirkung der Grundrechte gegeben. Da der Betreuer nicht nur bei speziellen Genehmigungspflichten, sondern auch allgemein der Aufsicht des Betreuungsgerichtes unterliegt (und mit Ge- und Verboten einschließlich Zwangsgel- dern belegt werden kann, vgl. § 1837 Abs.2 und 3 BGB), hat das Gericht die Beach- tung der Grundrechte durch den Betreuer im Rahmen seiner Aufsicht einzubeziehen. Auch eine mögliche Betreuerentlassung nach § 1908b Abs.1 BGB kann sich darauf stützen.
Ansonsten gilt für den Betreuer, dass dieser dem Betreuten auf privatrechtlicher Basis als dessen gesetzlicher Vertreter gegenübersteht und in diesem Rahmen auch Ver- antwortung dafür trägt, dass die Grundrechte des Betreuten nicht durch andere
staatliche Stellen (Behörden, Gerichte) beeinträchtigt werden. Hierfür hat er mit Rechtsmitteln aller Art einschließlich Strafanzeigen sowie Amtshaftungsansprüchen nach § 839 BGB i.V.m. Art.34 GG zu sorgen.
Im Innenverhältnis zwischen Betreuer und Betreutem strahlen die Grundrechte im Rahmen der Bestimmung des § 1901 Abs.2 und 3 BGB aus. Die Berücksichtigung
von Wünschen des Betreuten im Rahmen der Betreuertätigkeit sowie dessen Beteili- gung an Betreuerentscheidungen im Rahmen der dort genannten Besprechungspflicht sind (auch) unter den Aspekten des Grundrechtsschutzes des Betreuten zu sehen. Indes muss klar gesagt werden, dass die Bildung eines freien (von Krankheiten)
unbeeinträchtigten Willens bei vielen Betreuten beeinträchtigt ist, so dass der Be- treuer einen Entscheidungsspielraum besitzt, diese Wünsche beim Widerspruch mit dem objektiven Wohl des Betreuten nicht beachten zu müssen. Insoweit ist Betreu-ertätigkeit stets eine janusköpfige Angelegenheit, auf der einen Seite Hilfe für den Betreuten, auf der anderen Seite Schutz vor sich selbst.
Gegen den „natürlichen Willen“ des Betreuten darf nur gehandelt werden, wenn dies verhältnismäßig ist. Eine Zwangsbehandlung des Betreuten ist auch bei nicht vor- handener Einwilligungsfähigkeit des Betreuten nur zulässig, wenn der Eingriff in die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit und der Freiheit mit dem Schutz we- sentlich höherwertiger Rechtsgüter des Betreuten gerechtfertigt werden kann. Das
ergibt sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundes- gerichtshofs (BGH), die dem Betroffenen ein Recht auf Freiheit zur Krankheit ein- räumt. In der derzeitigen Rechtsprechung des BGH wird mit der Unterbringung nach
§ 1906 BGB unter bestimmten Umständen auch die stationäre Zwangsbehandlung
als genehmigt angesehen. Eine ambulante Zwangsbehandlung auf betreuungsrecht-licher Grundlage ist lt. BGH rechtlich nicht zulässig und daher nicht genehmigungs-fähig.
Der Betreuer haftet für vorsätzlich oder fahrlässig verursachte Schäden beim Betreu- ten, wenn sich dieses als Verletzung seiner Pflichten darstellt.
Zuständiges Kontrollorgan ist die Betreuungsbehörde. Berufsbetreuer benötigen eine eigene Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, ehrenamtliche Betreuer sind über das Land versichert.
Gemäß § 1902 BGB ist der Betreuer der gesetzliche Vertreter in den eingerichteten Aufgabenkreisen. Ist der Aufgabenkreis Gesundheitssorge eingerichtet, ist der Be- treuer in diesem Bereich der gesetzliche Vertreter des Betroffenen. Er muss in der
Regel genauso von dem Arzt informiert werden wie der Betroffene selbst. Ist der
betreute Patient mit der Weitergabe seiner personenbezogenen Daten an den Be- treuer nicht einverstanden, muss der Betreuer diesen Willen in der Regel beachten
(§ 1901 Abs.3 BGB). Kann eine einvernehmliche Lösung zwischen Betreuer und Be- treutem nicht gefunden werden, entscheidet das Gericht über das Auskunftsersuchen des Betreuers gegenüber dem Arzt.
Der Betreuer unterliegt nicht der Schweigepflicht gemäß § 203 StGB und besitzt
auch keine Zeugnisverweigerungsrechte. Das ist problematisch, da er Informationen über den Betreuten von Personen bekommen darf/muss, die eigentlich die Schweige-pflicht zu wahren haben. Verstöße sind mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu ahn- den. Nach geltender Rechtslage hat der Betreute keinerlei Datenschutz und keinerlei Intimsphäre. In Strafverfahren gegen den Betreuten muss der Betreuer als Zeuge aussagen.
Da die Anordnung einer Betreuung keine Entmündigung ist, neigen die Betreuungs- richter eher früher dazu, einen Betreuer zu bestellen. Hinzu kommt die demografi- sche Entwicklung: Es gibt mehr alte Menschen, die einen rechtlichen Vertreter brau- chen. Die zunehmende Zahl von Betreuerbestellungen liegt zum großen Teil aber
auch an einer zunehmenden Verrechtlichung der Gesellschaft. Die strafrechtliche Rechtsprechung verlangt z. B., dass die Patienten über die Behandlungsmaßnahmen mit allen Risiken aufgeklärt werden müssen, ob sie es verlangen oder nicht. Auch Be- treute müssen durch den behandelnden Arzt aufgeklärt werden, was aber häufig un- terbleibt. Soweit ein Patient dem geistig nicht ganz folgen kann, wird zur rechtlichen Absicherung die Bestellung eines Betreuers verlangt.
Aber auch Pflegeheime, Rententräger, Behörden und Sozialleistungsträger erfordern zur rechtlichen Absicherung Mitwirkungspflichten, die die Betroffenen nicht erfüllen können. Oft führt ein einzelnes Bettgitter, das unzweifelhaft nur dem Schutz vor dem Herausfallen dienen kann, weil der Betroffene bettlägerig ist, zur Betreuerbestellung.
Auf der anderen Seite haben sich genügend Dienstleister etabliert, die diese Leistun- gen anbieten und die Nachfrage erfüllen. Eine „Betreuungsindustrie“ ist entstanden. Auch wird vorgetragen, dass die Liberalisierung des Betreuungsrechts die Akteure leichtfertiger einen Betreuer bestellen lässt, da die Eingriffe in die Rechte des Be- troffenen nicht mehr so umfassend sind wie vor 1992.
Es gibt Meinungen, die die Arbeit der berufsmäßig tätigen Betreuer als entmündigend für den Betroffenen ansehen. Andere halten dagegen, dass diese ohne die Hilfe ihrer Betreuer eher der Willkür ihrer Umgebung ausgeliefert seien. Beide Haltungen sind richtig, da die Ausübung des Betreueramts sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Noch hat sich nicht überall herumgesprochen, dass der Betreute sein Wohl vorrangig selbst zu bestimmen hat. Letztlich kommt es auch auf das Vertrauensverhältnis zwi- schen Betreutem und Betreuer an.
Der Betreute hat durchaus das Recht, einen anderen Betreuer zu verlangen, wenn die „Chemie“ zwischen Betreutem und Betreuer nicht stimmt und dies nicht nur darauf beruht, dass der Betreute Anforderungen an den Betreuer stellt, die dieser vernünf- tigerweise nicht erfüllen kann (etwa: Gelder auszahlen, die für die monatliche Miet- zahlung vorgesehen sind), vgl. § 1908 b BGB.
Mit dem Gesetzentwurf „zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme“ (17/11513) soll „eine hinreichend bestimmte Regelung für die Einwilligung des Betreuers in eine Behandlung des Betreuten, die dieser ab- lehnt“, schaffen.
Im Juni 2012 hatte der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zur Zwangsbehandlung aufgegeben und entschieden, dass es an einer gesetzlichen
Regelung, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge, fehle. Seither sei „eine auf das Betreuungsrecht gestützte Behandlung von Betroffenen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer seelischen oder geistigen Behinderung die
Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Ein- sicht handeln können und denen ein erheblicher gesundheitlicher Schaden droht“ nicht möglich.
Es soll deshalb eine Regelung für die Einwilligung des Betreuers in eine Behandlung des Betreuten, die dieser ablehnt, geschaffen werden. In Anlehnung an das BGB
müsse eine Zwangsbehandlung weiterhin „im Rahmen einer Unterbringung nach
§ 1906 Abs.1 BGB erfolgen“. Sowohl Unterbringung als auch Zwangsmaßnahme bedürften der gerichtlichen Genehmigung. Zudem dürften ärztliche Zwangsmaß-nahmen nur das letzte Mittel sein, da mit ihnen ein „erheblicher Grundrechtseingriff“ verbunden sei. Sie sollten insbesondere in „Situationen drohender erheblicher Selbstgefährdung“ infrage kommen.